Architekturkritik 02:
Leutschenbach zwischen Stadt und Park
In Leutschenbach tut sich was. Das Quartier am nördlichen Stadtrand Zürichs liegt aus heutiger Sicht zentral zwischen Stadtzentrum und Flughafen Kloten, und langsam gesellen sich auch ein paar Anwohner zu den vielen Arbeitsplätzen. Während rund um den zentralen Leutschenpark einzelne Wohnhochhäuser für abgehobenes Leben gebaut werden, wird seit 2001 zwischen Hagenholzstrasse und Bahndamm an einer zusammenhängenden Nachbarschaft gearbeitet. Dieser Streifen, der sich aus Karl Steiner- und Hunziker-Areal zusammensetzt, reicht vom Kerez-Schulhaus bis zum Messe Parkhaus und den zum Turmgeviert ausgebauten ehemaligen Sunrise-Towers. Das Städtebauliche Leitbild Leutschenbach der Stadt Zürich sieht eine mäandrierende Bebauungsform vor, welche zwischen Stadt- und Parkseite des Areals vermittelt, und zwischen den Baufeldern abwechselnd zur einen oder anderen Seite gehörende Höfe bildet. Fischer-Visini realisierten zwischen 2004 und 2006 zwei Bauten im Rahmen dieses Leitbilds.
Von den Architekt:innen von Fischer-Visini zur Verfügung gestellte Grundlagen zur Planungsgeschichte in Leutschenbach.
Das 19-meter tiefe Gebäude 5 steht entlang der teilweise stark befahrenen Hagenholzstrasse, und schützt den dahinterliegenden Parkraum, welcher sich zwischen den beiden L-förmigen Wohngebäuden von Bob Gysin und Fischer-Visini öffnet, die ihrerseits je einen zur Strasse orientierten Hof fassen. Fischer-Visini sind darauf bedacht, diese Aussenräume zu aktivieren und ihnen die im Leitbild beschriebenen Qualitäten zu geben. Während bei Gysin der «Hof als Stadtraum» den Autos überlassen wird, fangen sie den Verkehr früh ab und lassen ihn unbemerkt im Untergrund verschwinden. Die unterschiedlich grossen Geschäftsräume in den Erdgeschossen beider Fischer-Visini Bauten ermöglichen ein für Leutschenbach unübliches, für lebendige Quartiere aber unentbehrliches Nebeneinander verschiedener Läden, Ateliers und Dienstleistungen. Sowohl entlang der Strasse als auch im Hof sind die Erdgeschosse transparent gehalten, was den Aussenraum belebt.
Der Blick über die Erdgeschosse hinaus zeigt, dass sich die fast vollständige Verglasung über die gesamte Höhe beider Bauten fortzieht. Das Raster der Skelettstruktur wird an den Fassaden gezeigt, die Lücken dazwischen verglast. Das Resultat ist eine an die klassische Moderne erinnernde Monotonie, welcher gewisse ästhetische Qualitäten nicht abzusprechen sind, die aber hier fehl am Platz ist. Oder fehl am Park. Da die Fassaden auch auf den Parkseiten der Gebäude gleich gestaltet sind wird die städtebauliche Unterscheidung zwischen Stadt- und Naturraum architektonisch nicht mitgetragen.
Im Kontext des gesamten Areals bleibt die Siedlung von Fischer-Visini ein gut funktionierendes, anschauliches Fragment, Relikt eines längst aufgegebenen Leitbilds. Die neueren, zum erreichen einer höheren Ausnutzung geplanten Bauten erreichen zwar die Dichte einer x-beliebigen anonymen Grossstadtsituation, aber nicht die Qualitäten des ursprünglich vorgesehenen Mäanders, der auf den spezifischen Charakter des Streifens zwischen Stadt und Park reagiert.
(Dieser Text ist im Rahmen von Prof. Dr. Laurent Stalders Seminar «Architekturkritik» an der ETH Zürich im Herbstsemester 2013 entstanden)